„Klimaschutz und Klimaanpassung müssen zentrale und sektorübergreifende landespolitische
Aufgaben der 8ten Legislaturperiode (2024-2029) sein.“
Jena und Erfurt, den 04.11.2024
Status Quo: Erreichtes und offene Herausforderungen
Klimaschutz und Klimaanpassung sind für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft und damit insbesondere die Politik in Thüringen eine zentrale Herausforderung und zugleich eine Chance. In der vergangenen 7. Legislaturperiode wurden wichtige Fortschritte erreicht, auf denen in der kommenden 8. Legislaturperiode aufgesetzt werden muss. Thüringen verfügt über sehr gute Voraussetzungen, um den Herausforderungen durch den Klimawandel zu begegnen - und sogar von den notwendigen Maßnahmen zu profitieren. Unter anderem mit dem Thüringer Klimagesetz (ThürKlimaG 2018), der Integrierten Energie- und Klimaschutzstrategie (IEKS 2019) und dem fortgeschriebenen Klimaanpassungsprogramm (IMPAKT II 2019) hat Thüringen wichtige gesetzlich-programmatische, wissenschaftliche wie auch wirtschaftsstrukturelle Grundlagen für einen ambitionierten Klimaschutz, notwendige Anpassungsmaßnahmen und einen ambitionierten Transformationsprozess hin zu einem klimaneutralen, lebenswerten und zukunftsfähigen Thüringen gelegt.
Das Engagement für die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen darf auch in der neuen Legislaturperiode nicht nachlassen, denn der Klimawandel ist und bleibt eine der größten Bedrohungen für unsere Gesellschaft, für unsere Wirtschaft und auch für die Gesundheit und den Wohlstand in unserem Land. Gerade in Thüringen sind die Auswirkungen der globalen Erwärmung durch die Zunahme von Witterungs- und Wetterextremen sowie die fortschreitende Erwärmung immer deutlicher erfahrbar (DWD, 2024; Brasseur et al., 2024; TMUEN, 2022), mit mittlerweile auch massiven negativen wirtschaftlichen Folgen. Das zeigt sich zum Beispiel in den trockenen Sommern und Dürreperioden, die unsere Wälder geschädigt haben, oberirdische wie unterirdische Gewässer beeinträchtigt (Lehmann und Totsche, 2020) und bei Land- und Forstwirtschaft zu erheblichen Verlusten geführt haben. Daran kann auch der Eindruck eines regenreichen Sommers nichts ändern. Der Handlungsdruck ist daher enorm, sowohl im Klimaschutz als auch in der Anpassung an den Klimawandel, denn die bisher beobachteten Folgen werden bei einem „weiter wie bisher“ nur ein Vorgeschmack sein. Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel sind unverzichtbar, um Thüringens Umwelt, Thüringens Wirtschaft, Thüringens Gesellschaft und zuvorderst die Menschen in Thüringen vor Schäden zu schützen. Für beides, Schutz wie Anpassung, gilt gleichermaßen: Je später wir handeln, desto teurer und schlimmer wird es. In diesem Sinne sind der Landtag und die neue Landesregierung gebeten, mit einem ambitionierten Programm zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung die Bedingungen für ein lebenswertes und zukunftsfähiges Thüringen sicherzustellen. Die ersten 100 Tage sind Gelegenheit und Chance zugleich, wichtige und überfällige Schritte in diese Zukunft zu gehen. Der Thüringer Beirat für Klimaschutz und Klimafolgenanpassung möchte mit diesen Eckpunkten zur Klimapolitik und einer Empfehlung zu den vordringlichsten Aufgaben im Klimaschutz, in der Klimaanpassung und in der Transformation in Thüringen dazu beitragen, die Herausforderungen anzugehen und die Chancen zu mobilisieren, die sich aus einer aktiven Gestaltung dieses Prozesses ergeben.
Vordringlichste Aufgaben bei Klimaschutz, Klimaanpassung und Transformation für ein zukunftsfähiges und lebenswertes Thüringen
- Klimaschutz und Klimafolgenanpassung als sektor- und ebenenübergreifende Gemeinschaftsaufgabe begreifen und im Regierungsprogramm festschreiben.
- “Klimaneutrales Thüringen bis 2045” als handlungsleitendes Ziel verankern.
- Stärkung der Vorreiterrolle der öffentlichen Hand im Hinblick auf die Energieeinsparmaßnahmen und Verbesserung der Energieeffizienz.
- Einrichtung eines Klimaschutz- und Anpassungsfonds finanziert mit öffentlichen und privaten Mitteln (Öffentlich-Private Partnerschaft).
- Etablierung eines Landesprogramms “Klima- und Transformationsberater” zur Beratung und Umsetzung von Schutz- und Anpassungsmaßnahmen für Kommunen, Gewerbe, Land- und Forstwirtschaft.
- Novellierung des Thüringer Klimagesetzes als verlässlicher Rechtsrahmen für integrales Handeln zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung.
- Innovationspotenzial eines ambitionierten Klimaschutzes und Klimaanpassung
“Made in Thüringen” durch Investitionsdynamik für die Thüringer Wirtschaft entfalten. - Bildung der “Plattform Klimaallianz”: Vernetzung der Akteure und Betroffenen im Bereich Klima auf Landes- und Kommunalebene (Behörden, Kommunen, Landkreise, Planungsregionen, Forschung, Thüringer Klimarat).
- Das “Landesentwicklungsprogramms Thüringen” zur Stärkung der ländlichen Räume mit den gemeinsamen Zielen Versorgungssicherheit, klimaneutrale nachhaltige Produktion und Schutz vor Wetterextremen weiterentwickeln.
- Schaffung eines Kompetenzzentrums “Klimaanpassung und Transformation”: Koordination, Beratung, Begleitung, Fortbildung und Unterstützung bei der Umsetzung der Querschnittsaufgaben bei Klimaschutz, Klimaanpassung und Transformation.
Durch Energiewende und Transformation klimaneutralen Wohlstand in Thüringen entwickeln
Klimaschutz und -anpassung stehen keineswegs im Gegensatz zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Im Gegenteil: Werden ambitionierter Klimaschutz und Klimaanpassung, intelligent umgesetzt, wird die dadurch ausgelöste Investitions- und Innovationsdynamik ein Motor für die Thüringer Wirtschaft.
Das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung möglichst auf 1,5°C bis zum Ende des 21. Jahrhunderts zu begrenzen, muss für Thüringen handlungsleitend bleiben. Wenn wir unsere Lebensqualität erhalten wollen, wird das nur durch einen Transformationsprozess hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und einem nachhaltigen Umgang mit allen Ressourcen - vom Konsum über den Verkehr bis den Energieträgern – gelingen. Dieser teilweise als beängstigend wahrgenommene Transformationsprozess ist als offener Beteiligungsprozesse zügig und sozial gerecht aufzubauen und muss sehr gut kommuniziert und erklärt werden.
Auf Bundesebene wurden bereits wichtige Anpassungen des Ambitionsniveaus vorgenommen. Das erklärte Ziel der BundesregierungExterner Link lautet, die Klimagasemissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent und bis 2040 um mindestens 88 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Mit dem im Herbst 2023 beschlossen Klimaschutzprogramm hat der Bund einen wichtigen Rahmen zum Erreichen der Klimaschutzziele gesetzt und die Klimaschutzlücke weiter geschlossen.
Das Thüringer Klimagesetz aus dem Jahr 2018, damals ein Vorreiter einer ambitionierten Klimapolitik auf Landesebene, bedarf daher einer Novellierung, um die bundesweit geforderte Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 zu erreichen. Die Thüringer Landesregierung hat sich in der Erklärung zur Ettersburger Kabinettsklausur im Mai 2023Externer Link zur Treibhausgasneutralität 2045 bekannt. Mit dem „Thüringer Gesetz zur landesrechtlichen Umsetzung des Wärmeplanungsgesetzes“ vom Juni 2024 erfolgten aber bisher lediglich einige wenige Anpassungen im Klimagesetz, um widerspruchsfreie Regelungen auf Landesebene zu gewährleisten.
Der Klimarat begrüßt ausdrücklich das Bekenntnis der Landesregierung zur THG-Neutralität bis 2045 (Erklärung der Ettersberger Kabinettsklausur 05/2023Externer Link). Jetzt muss dringend eine gesetzliche Verankerung der Klimaneutralität 2045 in Thüringen folgen, verbunden mit einem Meilenstein für 2030.
Die Maßnahmen der Integrierten Energie- und Klimaschutzstrategie (IEKS) und die weiteren bisher ergriffenen Maßnahmen werden nicht ausreichen, um die gesetzten Ziele bis 2045 zu erreichen. Eine weitere Schärfung und Konkretisierung der klimapolitischen Ziele und der sich daraus ergebenden Maßnahmen ist erforderlich, verbunden mit den notwendigen finanziellen und gesetzlichen Impulsen und Rahmenbedingungen durch die Bundesebene: Mit dem Klimaanpassungsgesetz hat der Bund die Rolle der Länder gestärkt, um Klimaanpassung auf Ebene der Länder, der Landkreise und Kommunen zielgerichtet umzusetzen. Dies alles im Wissen, dass Klimaschutz, Klimaanpassung und Klimakommunikation notwendige, sektor- und ebenenübergreifende gemeinschaftliche Aufgaben darstellen, deren Zielerreichung den politischen Willen und die ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung etwa auf kommunaler Ebene erfordern.
Thüringen hat den enormen Vorteil, über eine wettbewerbsfähige und innovationsfreudige Wirtschaft und Forschung zu verfügen. Thüringen zeichnet sich zusammen mit Sachsen durch die höchste Sonneneinstrahlung (Globalstrahlung kWh/m2, Deutscher Wetterdienst) in Ostdeutschland aus, die für Solarthermie und insbesondere Photovoltaik genutzt werden kann. Dies sind strukturelle Vorteile für Thüringen, die es weiter auszubauen und zu monetarisieren gilt: Der Weg zur Klimaneutralität ist in Thüringen einfacher und schneller zu bewältigen als in anderen Regionen, und die wirtschaftlichen Perspektiven der thüringischen Wirtschaft sind damit besser als anderswo. Dieser Standortvorteil lässt sich durch finanzielle und strukturelle Innovationsanreize für Klimaschutz- und Klimaanpassungsprodukte und -technologien „Made in Thüringen“ weiter stärken. Der Klimarat sieht darin große Chancen für Thüringens Wirtschaft. Thüringen könnte und sollte seine klimapolitischen Ambitionen daher weiter verstärken.
Die Regierung der kommenden 8. Legislaturperiode des Thüringer Landtags trägt Verantwortung dafür, dass die Weichen für ein klimaneutrales Thüringen im Jahr 2045 auch vor dem Hintergrund der Erreichung der UN Nachhaltigkeitsziele gestellt werden.
Zentral erforderlich sind eine integrative, abgestimmte und sektor- und ebenenübergreifende Strategie und ein konkretes Maßnahmenprogramm mit dem Ziel, bis 2045 vollständige Klimaneutralität zu erreichen. Dies ist eine konsequente Weiterentwicklung der in §4 Thüringer Klimagesetz gesetzlich verankerten Zielsetzung einer bilanziell vollständigen Versorgung aus erneuerbaren Energien bis 2040.
Aufgrund des Grundprinzips der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung (UNFCC 1992) sind die Industrieregionen dazu aufgefordert, schneller als bisher voranzugehen, um auf globaler Ebene Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Thüringen profitiert in dieser Hinsicht von seiner Wirtschafts- und Forschungsstruktur, die innovativ und wettbewerbsfähig ist, und kann als Vorreiter einen positiven Beitrag zur Erreichung der deutschen Klimaschutzziele leisten; wobei die Thüringer Emissionen an Treibhausgasen durch das weitgehende Fehlen von thermischen Großkraftwerken zur Stromerzeugung im Ländervergleich eher niedrig sind. Der Thüringer Klimarat empfiehlt daher, das Klimaschutzziel für 2030 auf mindestens 70 Prozent Reduktion gegenüber 1990 anzuheben und in der achten Legislaturperiode (2024-2029) die erforderlichen Instrumente bereitzustellen und notwendigen Maßnahmen umzusetzen, um das Ziel eines klimaneutralen Thüringens bereits 2045, spätestens aber 2050 zu erreichen.
Einsparung, Effizienz und erneuerbare Energien schnell und umfassend nutzen
Energieeinsparung und -effizienz können weiter gestärkt werden. Politische Rahmenbedingungen wie das im November 2023 in Kraft getretene Energieeffizienzgesetz (EnEfG 2023) zur Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie (EU Richtlinie 2023/1791) schaffen einen sektorenübergreifenden, ordnungsrechtlichen Rahmen zur Energieeffizienz und zur Senkung des Energieverbrauchs. Dabei wird die Vorreiterrolle des öffentlichen Sektors hervorgehoben. Fast immer ist eine Einsparung von Energie durch bewusste Entscheidungen und veränderte Gewohnheiten ohne Einbuße von Lebensqualität erreichbar; dies wird durch veränderte politische Rahmenbedingungen begünstigt. Damit ergibt sich ein konkreter Auftrag an die Politik, die ordnungsrechtliche Umsetzung innerhalb Thüringens unter anderem im Hinblick auf die Weitergabe der Energieeinsparmaßnahmen und die Verbesserung der Energieeffizienz an die Thüringer Kommunen.
Das Energieeffizienzgesetz des Bundes sieht beispielsweise vor, dass der Endenergieverbrauch bis 2030 um 26,5 Prozent gegenüber 2008 sinken soll und sieht im öffentlichen Sektor eine Vorreiterrolle für die Umsetzung von Energie- und Umweltmanagementsystemen und der Umsetzung strategischer Maßnahmen. Nun steht die ordnungsrechtliche Umsetzung in Thüringen und beispielsweise die Weitergabe der Einsparverpflichtungen an die Thüringer Kommunen an. Die Fernwärme in Thüringen leistet im Rahmen der gekoppelten Erzeugung von Strom und Wärme (KWK) einen erheblichen Beitrag zur Wärmewende. Der Anteil erneuerbarer Fernwärme muss beschleunigt ausgebaut werden. In diesem Zusammenhang ist auch der Ausbau und die Förderung der Wärmepumpen und der Elektromobilität zu sehen, mithin Technologien, die nicht nur auf die Energieeffizienz “einzahlen”, sondern auch wichtige Transformationselemente in der Dekarbonisierung des Energiesystems und bei der Wärmewende.
Vordringlich ist der rasche Ausbau regenerativer Energien, also von Wind-, Sonnen- und Bioenergie sowie der Verteilernetze. Das Windenergieflächenbedarfsgesetz des Bundes sieht vor, dass Thüringen 2,2 Prozent der Landesfläche als Windvorranggebiete ausweist. Derzeit sind einschließlich der Regionalplanentwürfe Südwestthüringen, Nordthüringen und Mittelthüringen nur 1,1 % der Landesfläche für Vorranggebiete Windenergie vorgesehen. Mit der Fortschreibung des Landesentwicklungsprogramms für Thüringen 2025 (LEP 2025) zur Stärkung des ländlichen Raumes wurden nun auch spezifische Teilflächenziele für die vier Planungsregionen ermittelt, die ein Erreichen des Gesamtziels für Thüringen bis zum Jahr 2032 sicherstellen können. Die neue Landesregierung sollte das “Landesentwicklungsprogramms Thüringen” zur Stärkung der ländlichen Räume mit den gemeinsamen Zielen Versorgungssicherheit, klimaneutrale nachhaltige Produktion und Schutz vor Wetterextremen weiterentwickeln.
Um in Thüringen das bundesweite Ziel für den Ausbau der Solarenergie umzusetzen, muss auch in Thüringen die Stromeinspeisung aus Photovoltaik bis zum Jahr 2030 mindestens verdreifacht werden. Mit dem “Maßnahmenpaket Solar” der Landesregierung und der Teilfortschreibung des Landesentwicklungsprogramms für Thüringen sind hier erste konkrete Schritte erfolgt. Unterstützende Maßnahmen, die es Bürgerinnen und Bürgern leicht machenExterner Link, sich am Solarausbau zu beteiligen (Solar EmpowermentExterner Link), sind notwendig. Schnellere und einfache Planungs- und Genehmigungsverfahren sind notwendig. Parallel muss die Abfall- und Reststoffnutzung bei Bioenergie erhalten und gestärkt werden.
Der konsequente und ambitionierte Aus- und Umbau hin zu einem regenerativen Energieversorgungssystem bedeuten konkret mehr Aufträge für das lokale und regionale Handwerk, große Potenziale für Thüringens Wirtschaft, und einen beschleunigten Innovationstransfer aus der Thüringer Forschung. Die generell positiven Folgen für die Versorgungssicherheit, die regionale Wertschöpfung und für das Gemeinwohl sind offensichtlich. Auch die absehbare Marktreife von Vehicle-to-Grid-Lösungen erhöht die Attraktivität der individuellen Elektromobilität aufgrund des dadurch zusätzlich generierbaren Einkommens auch finanziell.
Auch in der Mobilität können in Thüringen durch Erhöhung der Nutzung des ÖPNV und des Radverkehrs, verbunden mit einer Stärkung der Attraktivität durch den Ausbau von Radwegen und die Elektrifizierung von Bahnstrecken sowie alternative Antriebe viele Emissionen eingespart werden. Dazu kann die auch gezielte Reaktivierung stillgelegter Strecken und Bahnhöfe mit nachgewiesener Bedeutung für Schienengüterverkehr und -personenverkehr beitragen. Zentral ist aber auch die Förderung klimaneutraler Mobilität bei der Verkehrs- und Stadtplanung, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung von innovativen Lösungen zur Mobilität im ländlichen Raum, eine besondere Herausforderung für die Vernetzung im vielfältige und polyzentrisch strukturieren Thüringen. Die Nutzung des ÖPNV im ländlichen Raum, die Verbesserung des Angebots (Takt) und der Infrastruktur des ÖPNV sollte durch logistische und finanzielle Unterstützung der Kommunen und Landkreise deutlich verbessert werden, um als attraktives Angebot wahrgenommen zu werden. Dabei sollte die Bevölkerung und die regionale Wirtschaft beteiligt werden, um Angebote entlang der existierenden Bedürfnisse zu entwickeln, aber auch die Dekarbonisierung des motorisierten Individual- und Wirtschaftsverkehrs voranzutreiben. Der Erfolg des “Deutschlandtickets” seit 2022 hat gezeigt, dass viele Menschen prinzipiell bereit sind, die Bahn zu nutzen. Manche Mobilitätsfragen werden sich jedoch nicht über den ÖPNV lösen lassen. Aufgrund der zentralen Lage Thüringens in Deutschland und Europa und mit seinen vergleichsweise vielen Arbeitsplätzen im Logistikbereich ergeben sich spezifische Herausforderung, denen sich die Landesregierung stellen muss.
Die Landwirtschaft ist ein nicht zu vernachlässigender Emittent von Treibhausgasen in Thüringen. Hier liegen große Einsparpotenziale, die es zu nutzen gilt. Landwirte, die ihren Betrieb klimakonform umbauen, sollten durch Anreize unterstützt werden. Subventionen sollten langfristig an die Vereinbarkeit mit dem Klimaschutz gekoppelt werden. Um die Landwirtschaft nicht zu überfordern, ist dieser Transformationsprozess langfristig, schrittweise und im engen Austausch mit den betroffenen Menschen, den Betrieben und den Kommunen anzulegen.
Durch wissensbasierte Beratung in der Land- und Forstwirtschaft unter anderem durch die Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft und ländlichen Raum (TLLLR) sowie das Forstliche Forschungs- und Kompetenzzentrum (FFK) im Hinblick auf eine Transformation hin zu einer klimaoptimierten Landbewirtschaftung können Treibhausgasemissionen deutlich verringert, die Kohlenstoffspeicherung erhöht und die vielerorts drohende Wasserknappheit gemildert, wenn nicht gar verhindert werden. Dabei werden Klimaschutz und die Leistungsfähigkeit der Land- und Forstwirtschaft gemeinsam betrachtet. Im Ergebnis stabilisieren und verbessern sich die existenziellen natürlichen (Wasser-)Kreisläufe, die Biodiversität, die Qualität und Menges des Grundwassers, die Kühlung durch die Landschaft. Land- und Forstwirtschaft verstärken so ihren Beitrag zu Klimaschutz und Klimaanpassung
Nicht zuletzt sind Entsiegelung und Begrünung der Siedlungsräume für die Anpassung an den Klimawandel und die damit verbundene Zunahme von Extremwetterereignissen entscheidend für lebenswerte und klimatisch angenehme Wohn- und Stadträume.
Der Klimawandel ist Realität, konsequente Maßnahmen zur Anpassung sind erforderlich. Darauf muss sich auch Thüringen einstellen.
Die Wasser-, Land- und Forstwirtschaft sind schon jetzt von den Wirkungen der Klimaveränderungen massiv betroffen. Die Wälder müssen so umgebaut werden, dass sie besser auf die veränderten klimatischen Bedingungen vorbereitet sind und darüber hinaus ihr Potenzial zur Kohlenstoffspeicherung voll entfalten können. Dabei sollten die Einzugsgebiete der Grundwasserkörper und Trinkwassertalsperren als wichtigste Standbeine unserer öffentlichen Wasserversorgung priorisiert werden. Dies erfordert ein Umdenken in der Landesplanung hin zu einer den Untergrund - mit seinen Grundwasserkörpern - mit einbeziehenden Landschaftsraumplanung (Totsche, 2023). Dies erfordert aber auch eine wesentlich bessere personelle Ausstattung. Forst-, Land- und Wasserwirtschaft benötigen für die Umsetzung der Anpassung Wissen und Kompetenzen, die ihnen über die Landesämter wie das Thüringer Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz und „Klima-Coaches“ und “Transformationsberater” zur Verfügung gestellt werden können. Der Schutz der Ökosysteme mit ihren lebensnotwendigen Leistungen, als Teil eines umfassenden Landschaftsmanagements, beinhaltet eine Verringerung des Flächenverbrauchs, Entsiegelungsmaßnahmen und den Schutz der Biodiversität. Dies sind integrale Bestandteile eines aktiven und effektiven Klimaschutzes und der Anpassung an seine nicht mehr vermeidbaren Folgen.
Der Schutz der Gewässer und Wasserressourcen, ober- wie unterirdisch, sollte nicht nur bezüglich ihrer Menge, sondern insbesondere auch im Hinblick auf die chemische und ökologische Beschaffenheit eine hohe Priorität erhalten. Die Aufstellung der Niedrigwasserstrategie in 2022 war ein erster richtiger und wichtiger Schritt zum Schutz der Wasserressourcen. Zeitnah gilt es nun, diese Strategie um den Schutz vor Überschwemmungen und Überflutungen zu erweitern. Ambitioniertes Ziel der Landespolitik sollte aber die Entwicklung einer integrierten Klima-, Umwelt-, Wirtschafts- und Energiestrategie zum Schutz, Erhalt und zur Wiederherstellung der für Leben und Wohlstand unabdingbaren Leistungen unserer Naturkreisläufe und Ökosysteme sein. Die Thüringer Wissenschaft hat hierzu bereits vielfältige “intelligente” Lösungskonzepte entwickelt und Pilotprojekte initiiert, die als best-practice Beispiele für eine nachhaltige, sozial und klimagerechte Landnutzung dienen. Um in die Fläche übertragen werden zu können, sollte die Landesregierung diese Maßnahmen zielgerichtet mit spezifischen Investitionsprogrammen, zum Beispiel in Form eines ÖPP-finanzierten Klimafonds, insbesondere auch für den ländlichen Raum flankieren. So können die vielfältigen und genutzten Landschaften in Thüringen mit ihren Funktionen und Leistungen geschützt werden, ihre Widerstands- und Anpassungsfähigkeit gestärkt und ihre Biodiversität erhalten werden.
Ambitionierter Klimaschutz in Kombination mit Anpassung beinhaltet viele Chancen für Thüringen.
Klimaschutz und Klimaanpassung bedeuten Veränderungen für den Einzelnen und die ganze Gesellschaft in wesentlichen Bereichen, wie Energieversorgung, Mobilität und Ernährung. Damit können zum einen ernstzunehmende Sorgen und Fragen einhergehen, die einen transparenten und proaktiven kommunikativen Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern erfordern. Auch muss bei Maßnahmen, die Kosten generieren, ein sozial angepasster finanzieller Ausgleich frühzeitig geplant und angeboten werden. Die Veränderungen bieten auch Zusatznutzen, sogenannte Co-Benefits, die aufgezeigt und nutzbar gemacht werden müssen (z.B. lebenswerte Städte durch Entsiegelung, weniger Lärm, Linderung bei Hitzewellen, saubere Luft und weniger Krankheiten durch saubere Energie usw.). Gut gemachter, intelligenter Klimaschutz führt nicht zu einer Verschlechterung der Lebenssituation, sondern kann die Lebensqualität für jeden einzelnen sogar erhöhen.
Um die Akzeptanz zu erhöhen, müssen die Menschen vor Ort “mitgenommen” werden. Bürgerinnen und Bürger, Kommunen und Versorger wie z. B. Stadtwerke müssen die Vorteile unmittelbar spüren, z.B. in Form von Beteiligungsformaten wie Bürgerkraftwerken oder einer kommunalen Windenergieabgabe, wie jetzt durch das neue Windbeteiligungsgesetz vom Juni 2024 fixiert (ThürWindBeteilG 2024). Auch könnten lokale und regionale Gesprächsforen unter Einbeziehung aller Akteure und Betroffenen schon in Planungsphasen von Maßnahmen oder Aktivitäten helfen, um Fragen, Vorbehalte und Bedürfnisse offen zu thematisieren und gemeinsam konstruktive Lösungen zu erarbeiten. Hierfür sind personelle Ressourcen ratsam.
Zivilgesellschaftliche Partizipation verankern und Engagement fördern
Die Bevölkerung und Zivilgesellschaft spielen eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen auf lokaler und kommunaler Ebene. Die Forschung zeigt, dass Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen eher akzeptiert werden, wenn sie als fair, effektiv und nutzbringend wahrgenommen werden (Dechezleprêtre et al., 2022). Bei der Gestaltung von Maßnahmen sollte daher besonders auf Fairness bzw. den sozialen Ausgleich geachtet werden, da Maßnahmen besonders dann abgelehnt werden, wenn man sich dadurch zukünftig auf der Verliererseite sieht (PACE, 2023). Thüringen hat, wie bereits ausgeführt, viel Potenzial, Gewinn aus Klimaschutz und Klimaanpassung zu ziehen. Dies muss für die Bevölkerung konkret erfahrbar sein und gut kommuniziert werden. Zivilgesellschaftliche Organisationen können Fachwissen und innovative Lösungen bereitstellen. Zivilgesellschaftliche Akteure fördern durch Aufklärung und Information aber auch das öffentliche Bewusstsein für Klimafragen. Die Zusammenarbeit von Bürgergruppen und politischen Institutionen kann zur Entwicklung effektiver Klimaschutzstrategien führen. Öffentliche Anhörungen und Informationsveranstaltungen, Workshops, Bürgerforen, und insbesondere lokale und kommunale Initiativen können dazu beitragen, auf die besondere lokale Situation zugeschnittene Maßnahmen für Klimaschutz und Klimaanpassung in einem gemeinsamen Prozess partizipativ zu entwickeln und umzusetzen. Lokale Projekte wie Energiegenossenschaften sind praktische Beispiele für nachhaltiges Handeln und zeigen, wie Klimaschutz im Alltag umgesetzt und politische Maßnahmen von den Bürgerinnen und Bürgern her geplant werden können. Dies kann individuelles und kollektives Klimaschutzverhalten unterstützen und die Akzeptanz von Maßnahmen fördern, die zur Anpassung an Klimawandelfolgen und für den Klimaschutz notwendig sind (Betsch et al, 2023). Ein verstärktes Engagement des Bildungssystems kann zudem insgesamt helfen, diese Zusammenhänge und Ziele besser zu verstehen und daraus hervorgehende Veränderungen oder Maßnahmen zu akzeptieren.
Die neue Landesregierung hat die Verpflichtung, Thüringen vor den katastrophalen Folgen des Klimawandels zu schützen. Und sie hat die Chance, das Land zukunftsfest zu machen. Der Thüringer Klimarat wird auch in Zukunft seinen Teil dazu beitragen.
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Quellen
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Brasseur, G.P., Jacob, D. und Schuck-Zöller, S. (Hrsg.) (2024): Klimawandel in Deutschland: Entwicklung, Folgen, Risiken und Perspektiven. 2. Auflage. Verlag Springer Spektrum Berlin, Heidelberg, 527pp. https://doi.org/10.1007/978-3-662-66696-8Externer Link
Dechezleprêtre, A., Fabre, A., Kruse, T., Planterose, B., Chico, A. S., & Stantcheva, S. (2022). Fighting climate change: International attitudes toward climate policies (No. w30265). National Bureau of Economic Research.
DWD (2024): Klimareport Mitteldeutschland; 1. Auflage; Deutscher Wetterdienst, Deutschland.
EnEfG 2023: Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz in Deutschland. Energieeffizienzgesetz vom 13. November 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 309) (https://www.gesetze-im-internet.de/enefg/BJNR1350B0023.htmlExterner Link)
EU Richtlinie 2023/1791: RICHTLINIE (EU) 2023/1791 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 13. September 2023 zur Energieeffizienz und zur Änderung der Verordnung (EU) 2023/955 (Neufassung) (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023L1791Externer Link)
https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgasminderungsziele-deutschlandsExterner Link
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Lehmann, R., Totsche, K. U. (2020) Multi-directional flow dynamics shape groundwater quality in sloping bedrock strata. Journal of Hydrology 580, 124291. https://doi.org/10.1016/j.jhydrol.2019.124291Externer Link
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TMUEN (2022): Klimawandelfolgen in Thüringen - Zweiter Monitoringbericht; Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz (TMUEN)- Stabsstelle Presse, Öffentlichkeitsarbeit, Reden -Beethovenstraße 3 99096 Erfurt. Externer Linkhttps://umwelt.thueringen.de/fileadmin/001_TMUEN/Unsere_Themen/Klima/Klimaanpassung/Monitoringbericht_2023_Klimawandelfolgen.pdfExterner Link
Totsche, KU (2023): Vorsorgender und nachsorgender Boden- und Grundwasserschutz unter den Bedingungen des (Klima-)Wandels: Herausforderungen in der Forschung und Konsequenzen für Politik und Praxis. HyGEO Pub23:1-9.
UNFCC (1992): United Nations Framework Convention on Climate Change (PDF). https://unfccc.int/resource/docs/convkp/conveng.pdfExterner Link.
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Autorenschaft: Der Thüringer Beirat für Klimaschutz und Klimafolgenanpassung
Prof. Dr. Kai Uwe Totsche (Sprecher des Beirats), Friedrich-Schiller-Universität Jena, Leiter des Lehrstuhls für Hydrogeologie
Prof. Dr. Barbara Praetorius (stellv. Sprecherin des Beirats), Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Professur für Nachhaltigkeit, Umwelt- und Energieökonomie und -politik
Prof. Dr. Christian Bernhofer, Technische Universität Dresden, Professur für Meteorologie
Prof. Dr. Cornelia Betsch, Universität Erfurt, Direktorin des Institute for Planetary Health Behaviour und Bernhard Nocht Institut für Tropenmedizin, Hamburg
Prof. Dr. Daniela Jacob, Helmholtz-Zentrum Hereon GmbH, Direktorin des Climate Service Center Germany (GERICS)
Dr. Frank Kreienkamp, Deutscher Wetterdienst, Regionales Klimabüro Potsdam
Prof. Dr. Hermann E. Ott, Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde
Prof. Dr. Markus Reichstein, Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena, und ELLIS Unit Jena
Prof. Dr. Manfred Stock, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Forschungsbereich Klimaresilienz
Prof. Dr.-Ing. Daniela Thrän, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ), Leiterin Department Bioenergie
Prof. Dr.-Ing. Viktor Wesselak, Hochschule Nordhausen, Professur für Regenerative Energiesysteme
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